Würgefeige

Würgefeigen haben es in sich! Nicht nur ihre spezielle Art zu wachsen, auch ihr Sexualleben zeigt einige Spezialitäten.

Lebensweise

Die Mehrheit der Ficus-Arten wird durch Tiere verbreitet, sprich die Samen werden gefressen und verdaut (3, 6). Weil die Samen klein sind (0.5 bis 5 mm), werden sie unzerkaut verschluckt (1). Bei einigen Arten scheint die Keimfähigkeit erst durch die Verdauung aktiviert (1) oder zumindest verbessert zu werden (5). Zurückzuführen ist dies auf den nötigen Angriff der Verdauungssäfte auf die Samenschale oder die Absorption von Wasser im tierischen Verdauungstrakt (1, 5). Häufig werden die Samen auch durch Ameisen nicht nur gefressen (5), sondern auch an bessere Standorte verfrachtet (4), eine sogenannte sekundäre Samenverbreitung. 

Wenn nun beispielsweise Vögel oder Affen die Feigenfrüchte gefressen haben, scheiden sie die Samen irgendwann wieder aus. Die mistelähnlichen schleimigen Samen von Würgefeigen keimen in Löchern oder Spalten von Zweigen, Stämmen oder gar Luftwurzeln anderer Ficus-Individuen. 

Die Keimlinge sind aufgrund des benötigten Lichtes zwischen 20 bis 25 Meter über dem Waldboden zu finden. Nach der Keimung verankert sich der Keimling durch das Anschwellen einer Knolle. Aus der Sprossachse wachsen eine oder mehrere zu Boden führende Wurzeln sowie zusätzliche Wurzeln, die die Pflanze verankern. Die hängenden, häufig fadenförmigen und rötlichen bis grünen Wurzeln werden Luftwurzeln genannt. 

Links: Luftwurzeln der Würgefeige. Rechts: Wurzeln reichen bis zum Boden.

Würgefeigenart (Ficus benghalensis) mit Luftwurzeln, links (© K S Gopi Sundar, Indien). Die Luftwurzeln haben den Boden erreicht, rechts (© Frédérique Chesnais, Hawaii).

Der obere Teil der Pflanze wächst nur sehr langsam. Sobald die Luftwurzeln den Boden erreicht haben und die Pflanze mit ausreichend Nährstoffen versorgen können, kann sich auch der obere Teil schnell entwickeln. Da die Pflanze nun Kontakt zum Boden hat, spricht man jetzt von sogenannten Hemi-Epiphyten. Die Pflanze verbringt also nur einen Teil ihres Lebenszyklus als vollwertiger Epiphyt (Aufsitzerpflanze). (10) 

Das Schicksal des Wirtsbaumes ist nun besiegelt: Mehrere Schichten von zu Stämmchen gewordenen Luftwurzeln entstehen übereinander und verflechten sich (7, 8). Schliesslich können sie den gesamten Wirtsbaum dicht anliegend wie ein Panzer umwachsen. Dadurch können die Pflanzensäfte des Wirtsbaumes nur noch eingeschränkt fliessen und das Dickenwachstum wird verhindert. Daher der Name Würgefeige. Das Wachstum des Wirtsbaumes wird aber auch durch die Nährstoffkonkurrenz im Boden behindert. Die Wurzeln der Würgefeige breiten sich oberflächlich bis zu zehn Meter weit vom Hauptstamm aus. Ausserdem überwächst auch die Laubkrone des Würgers diejenige des Wirtsbaums und beschattet dessen Blätter, wodurch die Wirtsbäume unter Lichtmangel leiden. 

Stirbt der Wirtsbaum, so wird der Stamm von Termiten, anderen Insekten und Pilzen schnell abgebaut. In seltenen Fällen ist das Geflecht der Feige so stabil geworden, dass sie auch ohne Stütze durch den Baum bestehen kann. Sie übernimmt dessen Platz, ihr „Stamm“ ist deswegen innen hohl, sogenannte «Baumkathedralen». Bei der Rodung des Regenwaldes für Ölpalmplantagen bleiben diese Baumriesen stehen, weil sie kaum gefällt werden können. 

Illustration des Wachstums einer Würgefeige.

Die fiese Überlebensstrategie der Würgefeigen (© Buch Regenwald - Grüner Schatz der Erde).

Diese spezielle, etwas fiese Überlebensstrategie der Würgefeige hat zahlreiche Vorteile: Von Anfang an hat die Feige einen Platz an der Sonne, sie muss nicht auf dem dunklen Waldboden warten, bis sich eine Lücke auftut, um dann mit unzähligen anderen schnell wachsenden Pflanzen um Licht zu kämpfen. Ausserdem spart sich die Feige die Ausbildung aufwendiger Stämme und ausladender Äste, die das produzierende Blattwerk bis zu 60 Meter hoch über dem Boden tragen. Stattdessen baut sie ihr Wurzelwerk aus und investiert in das Blattwerk.

Obwohl Würgefeigen ihren Wirtsbaum zum Absterben bringen können oder zumindest stark konkurrenzieren, können sie doch nützlich für ihre Opfer sein. Bei heftigen Stürmen können grosse Würgefeigen ihre Wirtsbäume davor bewahren, entwurzelt zu werden. Mit ihren Luftwurzeln können sie sich sowohl an den umgebenden Bäumen als auch am Boden verankern. (10) 

Das Vorkommen von Würgefeigen deutet auf ein hohes Alter eines tropischen Regenwalds hin, schliesslich dauert es recht lange, bis die Wurzeln aus dem Kronendach den Boden erreichen, miteinander verwachsen und einen ganzen Stamm bedecken. Ein tropischer Regenwald mit freistehenden Würgefeigen ist deswegen mindestens ein paar Jahrhunderte alt, wahrscheinlich noch viel älter.

Vorkommen

Verschiedene Autoren beschreiben bis zu 1'000 unterschiedliche Ficus-Arten (2), jedoch lassen neuere Untersuchungen vermuten, dass es weltweit 735 Arten sind (3). Die Gattung Ficus ist dennoch die artenreichste Gattung aller holzigen Pflanzen. Die Gattung kommt überwiegend in der tropischen und pantropischen Zone vor (1, 3). Die Ausdehnung einiger Ficus-Arten reicht jedoch bis in die suptropische und für wenige Arten auch bis in die warmgemässigte Zone (3). Das Verbreitungszentrum der Gattung liegt aber im tropischen Ostasien (1, 2, 3). So kommen 120 Ficus-Arten in Amerika, 105 Ficus-Arten in Afrika (inklusive Madagaskar, weitere Inseln im Indischen Ozean und der Arabischen Halbinsel) und 367 Ficus-Arten in der Asiatisch-Australasischen Region vor (3).

Die meisten tropischen Arten kommen im Tiefland und der submontanen Zone unter 1'500 m.ü.M vor. Ganz wenige Arten findet man auch in der montanen Zone bis 2'400 m.ü.M., darüber gibt es nur sehr wenige Nachweise, wie z.B. bis 3'200 m.ü.M. in den Anden oder auf dem Mount Kinabalu in Borneo.

Das Sexualleben der Feigenbäume

Feigen bilden rundliche bis birnenförmige, geschlossene Blütenstände. Aus diesen entwickelt sich ein ganz spezieller Fruchtverband, der Sykonium genannt und im Volksmund als die Feigenfrucht bezeichnet wird. Es handelt sich um einen fleischigen Hohlkörper, der auf seiner inneren Oberfläche hunderte von winzigen Blüten trägt. Diese Blüten sind männlich oder weiblich. Von den weiblichen Blüten gibt es zwei Typen, nämlich solche mit langem Griffel und solche mit kurzem Griffel. 

Geschlossene Blütenstände der Würgefeige Ficus benghalensis.

Die geschlossenen Blütenstände der Würgefeige Ficus benghalensis. Darin enthalten sind hunderte winzige Blüten, die von der Feigenwespe bestäubt werden (© Shiwalee Samant, Indien).

Fast jede Ficus-Art hat einen speziellen Bestäuber, wobei es sich um winzige, rund 2 mm kleine Feigenwespen handelt. Den Zugang in das Innere des Blütenstandes bildet eine kleine Öffnung (Ostiolum) gegenüber dem Ansatz. Um hineinzugelangen, streifen die weiblichen Wespen ihre Flügel und Antennen ab. Im Inneren erfolgt die Bestäubung der Blüten mit den langen Griffeln, aus denen später die winzigen Steinfrüchte entstehen (9). 

In die sterilen Blüten mit kurzem Griffel legt das Insektenweibchen mit seinem Legebohrer seine Eier ab. Nach der Eiablage sterben die Tiere. In den Fruchtknoten der Blüten entwickeln sich die Larven bis zu den fertigen Feigenwespen. Später schlüpfen männliche und weibliche Wespen. Die Männchen begatten noch in der „Feigenfrucht“ die Weibchen, fressen ein Loch durch die Feigenwand und sterben danach (9). 

Durch diese freigebissene Öffnung verlassen nun auch die Wespenweibchen die Feigenfrucht. Sie sind beladen mit befruchteten Eiern und Feigenpollen aus den erst jetzt stäubenden männlichen Blüten. Die Wespenweibchen suchen anschliessend einen jungen Feigenblütenstand auf, kriechen hinein, bestäuben dabei die Blüten im Innern, legen ihre Eier ab und sterben. Der Zyklus beginnt von vorne. 

Dieser obligate Mutualismus ist höchst faszinierend. Die eine Art kann nicht ohne die andere Art überleben. Dabei sorgt der eine weibliche Teil der Feigenfrucht (mit den kurzen Griffeln) für das Überleben der Wespen, der andere (mit den langen Griffeln) für das Überleben der Feige. Einige Wespenarten sind auf nur eine einzige Feigenart spezialisiert. 

Illustration des Fortpflanzungszyklus der Würgefeige.

Der faszinierende Fortpflanzungszyklus der Würgefeige (© Encyclopaedia Britannica Inc.).

Gefährdung und Bedeutung der Würgefeige

Die grösste Gefahr für die Würgefeige ist die grossflächige Abholzung der Regenwälder, welche nebst der direkten Zerstörung von Arten und Lebensraum auch die Luftfeuchtigkeit und die Bodenbedingungen verändert. Des Weiteren kann der Klimawandel dazu führen, dass die benötigten klimatischen Bedingungen in wichtigen Regionen verschwinden. 

Da die Gattung Ficus als wichitge Nahrungspflanze dient, kann das Aussterben der Feigen auch indirekt die Existenz zahlreicher weiterer Arten gefährden. Gesamthaft ernähren sich 990 Vogelarten (10% aller Vogelarten) und 284 Säugetierarten (6% aller Säugetierarten, darunter Primaten, Fledermäuse und Eichhörnchen) von Ficus-Arten. (6)

Hilf mit, die tropischen Regenwälder zu schützen! Und damit das Überleben der einzigartigen Würgefeige zu sichern. 

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Autorin: Silja Keller

Literaturverzeichnis

(1) Bolay E. (1977): Ökologie der Würgefeigen. – Biol. unserer Zeit 2: 55–58. 

(2) Berg C. C. (1989): Classification and distribution of Ficus.Experientia 45, 650 – 661

(3) Berg C.C. & Corner E.J.H. (2005): Moraceae ( Ficus ). In Flora Malesiana. Edited by: Nooteboom HP. National Herbarium Nederland, Leiden.

(4) Kaufmann S.,McKey D.B., Hossaert-McKey M., Horvitz C.C. (1991): Adaptations for a two-phase seed dispersal system involving vertebrates and ants in a hemiepiphytic fig (Ficus microcarpa Moraceae). Am. J. Bot. 78: 971-977.

(5) Laman T.G. (1995): The Ecology of Strangler Fig Seedling Establishment. Selbyana, Vol. 16, 2, Canopy Proceedings, pp. 223-229

(6) Shanahan M., So S., Compton S.G., Corlett R. (2001): Fig-eating by vertebrate frugivores: a global review. Biol. Rev. 76

(7) Corner E.J.H (140): Wayside trees of Malaya 1 (1940). 

(8) Rao A.N. (1966): Developmental anatomy of natural root grafts in Ficus globosa. Aust. J. Bot. 14, pp. 269–276

(9) Zahorka, H. 2019. Würgefeigen: Baumwürger und ihr geheimes Sexualleben. „Mordlüsterne“ Pflanzen oder Lebenskünstler?. Der Palmengarten. 82, 2 (Nov. 2019), 25–30.

(10) Zahorka, H. 2006: Antiaris toxicaria Lesch. 1810. Enzyklopädie der Holzgewächse, 44. Erg.Lfg.6/06, III-4. – Landsberg.