Das Minga Reforestation Project ist ein nachhaltiges Aufforstungsprojekt in einer der artenreichsten Regionen der Welt im Norden Ecuadors. Der Umweltingenieur Kenzo van Gogh hat das Projekt mitaufgebaut und lebt heute in Ecuador. Im Interview erzählt er uns, wie es dazu kam, was seine Ziele mit dem Projekt sind und wie bereichernd seine Arbeit ist.
Du hast ein eigenes Aufforstungsprojekt mit dem Namen Minga Reforestation Project gestartet. Was sind Deine Ziele mit dem Projekt? Und wofür steht Minga?
Wir haben das Projekt in einem Team zu dritt aufgebaut. Unsere Ziele sind klar: Einen möglichst grossen Impact im Klimaschutz zu haben. Wir fangen klein an: Dieses Jahr werden die ersten paar Tausend Bäume gepflanzt. Wir wollen aber mehrere Millionen Bäume pflanzen. Grosse Ziele helfen mir persönlich dorthin zu kommen, wo ich möchte. Weitere Ziele sind wieder mehr Raum für die unglaubliche Biodiversität in Ecuador zu schaffen, möglichst viele Arten zu pflanzen und durch Abholzung getrennte Waldflächen mit Korridoren wieder zu verbinden, um ein stabiles Ökosystem zu erschaffen. Und dann spielt auch der soziale Aspekt eine Rolle: Wir forsten in einer abgelegenen Region auf, in der 40% der Kinder an Mangelernährung leiden. Arbeitsplätze helfen dagegen sehr.
Das Wort Minga kommt aus dem Quechua – eine der indigenen Sprachen Lateinamerikas – und bedeutet gemeinschaftliche Arbeit, die dem Wohle aller dient. Das Gemeinschaftsdenken ist hier in Ecuador sehr stark verankert. Klimaschutz repräsentiert für mich genau das: Arbeit zum Wohle der Menschheit und der Natur. Nur gemeinsam können wir die Klimakrise eindämmen! Zudem ist der Name ein Dank an unsere Partnerorganisation EcoMinga, die das Wort im Namen trägt. Sie haben uns von Beginn an mit viel Begeisterung und unentgeltlicher Arbeit geholfen, das Projekt aufzubauen.
Kenzo (links) vom Minga Reforestation Project und Jhosué (rechts), Angestellter von Ecominga in Ecuador. © Kenzo van Gogh
Was war Deine Motivation? Und wie lange hast Du die Idee mit Dir herumgetragen, bis Du den ersten Schritt gewagt hast?
Meine Motivation ist vielfältig. Aber zentral ist für mich der Klimaschutz. Es ist die wichtigste Aufgabe unserer Zeit. Das gibt meiner Arbeit Sinn! Seit meinem Studium wurde mir klar: Dieses Thema wird das Leben von uns allen massiv beeinflussen. Während der Pandemie hatte ich wie viele plötzlich mehr Zeit und sagte mir: Jetzt packst Du es an! Ich trommelte eine Gruppe von Leuten zusammen, wir gründeten unseren Verein und ein Jahr später hatten wir mit EcoMinga den besten Projektpartner, den man sich vorstellen kann.
Was waren die ersten Schritte auf Deinem Weg zum eigenen Aufforstungsprojekt?
Die Suche nach einem Projektpartner. Das war lustig: Ich suchte ins Blaue hinaus. Ich war zuerst mit diversen Projekten in Kolumbien in Kontakt, bis meine Mutter sagte: «Du musst Urs treffen.» Als ich fragte, wer dieser Urs sei, sagte sie, er sei ein Freund von ihr und unterstütze ein Waldschutzprojekt in Ecuador. Als ich vor Ort sah, wie unfassbar die Artenvielfalt in der Region ist – die Nebelwälder Ecuadors zählen zu den artenreichsten Wäldern der Welt – hat es mich umgehauen! Wir reden in der Schweiz von Biodiversität und das ist auch gut so. Ecuador ist bezogen auf die Fläche das artenreichste Land der Welt. Es strotzt nur so vor bunten Vögeln, Orchideen und anderen Blumen, Amphibien sowie einer Vielzahl anderer Lebewesen.
Wo steht ihr heute? Auf welche Erfolge bist Du besonders stolz?
Wir stehen noch ganz am Anfang: Im Juni 2024 werden wir die ersten Flächen bepflanzen. 2023 war in Ecuador und auf dem ganzen Kontinent das trockenste Jahr seit Messbeginn. Der Klimawandel ist in vollem Gang! Die Trockenheit hat auch dazu geführt, dass die Bäume nicht oder erst spät blühten und wir erst viel später als geplant Saatgut sammeln konnten. Wir werden im ersten Jahr rund 30 Baumarten pflanzen. Das ist ein guter Start.
Stolz ist vielleicht das falsche Wort, es sind eher viele Glücksgefühle! Das Gemeinschaftsgefühl mit unseren ecuadorianischen Freunden etwas Grosses zu erschaffen, zum Schutz des Klimas beizutragen, viel über die Bäume in der Region und das Sammeln von Saatgut zu lernen, Leute weiterzubilden und zu sehen, wie es sie inspiriert und motiviert, das macht mich sehr glücklich! So fühlt sich unser Projekt für mich wie ein Kind an, das stetig wächst und sich toll weiterentwickelt.
Farben- und Formenvielfalt des Saatguts für die Aufforstung. © Kenzo van Gogh
Und woran arbeitet ihr zurzeit?
Zurzeit lebe ich in Ecuador und habe mit EcoMinga ein grösseres Klimaschutz-Projekt gestartet: Mit dem Verkauf von CO₂- und Biodiversitätszertifikaten wollen wir noch mehr artenreiche Waldflächen schützen, mehr Ranger finanzieren können und unser Baumpflanz-Projekt finanzieren. Für das Minga Reforestation Projekt wäre dies der entscheidende Schritt in Richtung Professionalisierung. Unser Crowdfunding hat uns einen super Start ermöglicht, aber nun wollen wir wachsen! So können wir auch Unternehmen helfen, die Emissionen zu kompensieren, die sie (noch) nicht reduzieren. Wir werden unser Klimaschutz-Projekt nach internationalen Standards zertifizieren lassen. Dabei lerne ich viel zu Themen wie Marketing oder wie man das in Bäumen gespeicherte CO₂ misst, wie man ein vertrauenswürdiges Projekt in einem stark kritisierten CO₂-Markt aufbaut, etc. Dabei ist der freiwillige CO₂-Markt eines der wenigen Instrumente, die wirklich klimawirksam sind, wenn das Projekt gut aufgebaut ist. Diese Chance müssen wir nun alle nutzen.
Baumschule für die Anzucht vieler verschiedener Baumarten, welche später für die Aufforstung verwendet werden. © Kenzo van Gogh
Welche Stolpersteine musstest Du überwinden? Was war so ein richtiger Fail?
Ein Fail ist für mich nur, wenn ich mich durch Stolpersteine zu lange aufhalten lasse. Der Faktor Zeit ist im Klimaschutz entscheidend! Wir haben nur noch ein paar wenige Jahre, um unser Klima zu retten, bevor es unkontrollierbar wird. Wir sind nahe an vielen Tipping-Points. So ist zum Beispiel der Amazonas-Regenwald kurz davor, sich in eine Savanne umzuwandeln. Damit würde er von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle und würde den Klimawandel massiv verstärken. Das wäre ein Fail von uns allen. Und den müssen wir nun mit aller Kraft verhindern! Wir arbeiten auch an unserem Projekt, um den Leuten zu zeigen: Man kann etwas tun für das Klima und die Biodiversität. Aber es braucht nun den vollen Einsatz von uns allen!
Was war Dein schönster Regenwald-Moment bisher?
Oh, da gibt es viele! Als ich zum ersten Mal im Yasuní-Nationalpark in Ecuador war – das ist der artenreichste Wald der Welt – sind mir die Tränen gekommen. Die Natur ist so reich, grosszügig und schön! In solchen Momenten wird mir immer wieder klar: Wir sind ein Teil von ihr, ihre Untertanen. Wir sollten aufhören uns wie die Herren der Welt aufzuspielen, sondern lernen in Harmonie mit der Natur zu leben. Die Indigenen in Ecuador und allen Teilen der Welt zeigen uns das. Wir können viel von ihnen lernen…
Ein Mitarbeiter überprüft die Qualität der Setzlinge für die Aufforstung. © Kenzo van Gogh
Welchen Rat würdest Du Menschen geben, die ein eigenes Regenwaldschutzprojekt aufbauen möchten?
Macht es und macht es jetzt! Viele Menschen haben sich aus Frust über die Welt ins Private zurückgezogen. Nur aus dem Privaten herauszutreten und sich zu engagieren, hilft unserer Welt in dieser Zeit. Wenn Ihr ein Projekt aufbaut, sucht Euch einen guten Projektpartner aus. Die ideale Partnerorganisation ist im Idealfall top motiviert, hat viel Erfahrung in ihrem Bereich und ist verlässlich. Im Globalen Süden gibt es unzählige wunderbare Projekte, die nur darauf warten, einen Partner zu finden, der ihnen finanziell und in Marketingthemen hilft. Wir müssen das Geld aus unseren reichen Ländern in den Süden bringen. Das sehe ich als unsere Aufgabe und notwendigen Beitrag an die Welt, die nicht nur aus Umweltsicht, sondern auch aus wirtschaftlicher und sozialer Perspektive endlich mehr Gleichgewicht braucht. Wir müssen uns diesen Ungerechtigkeiten entschieden entgegenstellen!