Sie befinden sich in vielen Alltagsgeräten oder werden als Lösung für die Energiewende angepriesen: Bergbauprodukte wie Lithium, Coltan oder Kobalt. Doch der Abbau dieser Stoffe hat grosse Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und die Umwelt.
Hablas en tu celular
y hablas y hablas
y ríes en tu celular
sin saber cómo se hizo
y menos cómo funciona
pero qué importa eso
So schrieb es der nicaraguanische Priester und Dichter Ernesto Cardenal, zu Deutsch etwa: Du sprichst, du lachst in dein Handy, ohne zu wissen, wie es gemacht wurde und wie es funktioniert – aber was macht das schon?
Eine Menge tatsächlich, denn weiter heisst es in seinem Gedicht El Celular:
miles y miles
por ese celular
mueren en el Congo
Zu Deutsch: Tausende und Abertausende sterben für dieses Handy im Kongo.
Ein lehrreiches Gedicht über die komplexen Verkettungen unseres Alltags mit der Produktion von Gütern und ihre tragischen Auswirkungen auf Menschen und die Natur. In diesem Blogbeitrag soll dafür das Kongobecken in den Blick genommen werden.
Das Kongobecken
Das Kongobecken liegt im Zentrum des Kontinents Afrika und erstreckt sich über eine Fläche achtmal so gross wie die Schweiz. Dort findet sich neben dem Amazonas die zweitgrösste Regenwaldzone unseres Planeten, durchzogen vom Fluss Kongo und seinen zahlreichen Nebenflüssen. Diese Wälder beherbergen eine einzigartige Artenvielfalt, wobei viele Arten endemisch sind (= nur in dieser Region vorkommend). Dazu gehören zum Beispiel die Gorillas und Schimpansen. Über 10'000 Pflanzenarten wachsen im Kongo und viele sind noch kaum bekannt, da das Kongobecken – im Gegensatz zum Amazonas oder den Regenwäldern Südostasiens – noch kaum erforscht ist. Das Kontobecken ist zudem zentral für die CO₂-Regulation des Planeten und damit für die Bekämpfung der Klimakrise.
Die Artenvielfalt und die Fähigkeit zur CO₂-Aufnahme stehen jedoch gewaltig unter Druck: Ein starkes Bevölkerungswachstum in dieser Region verbunden mit Siedlungs- und Bewirtschaftungsdruck, der Bergbau und der Klimawandel setzen die Ökosysteme unter Stress. Dazu kommen vor allem im Osten der Demokratischen Republik Kongo instabile politische Verhältnisse und bürgerkriegsähnliche Zustände.
Gorillas findet man nur auf dem Afrikanischen Kontinent. Hier ein Gorilla in Léfini, Republik Kongo (© Cecile Colombo).
Rohstoffe für die Energiewende
Die natürlichen Ressourcen des Kongobeckens (insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo) sind für das Land ein Segen und ein Fluch zugleich. Sie locken internationale Konzerne an, doch der Grossteil der Lokalbevölkerung profitiert von diesem Reichtum nur wenig.
Die zeigt sich aktuell beim Abbau von Bergbauprodukten wie Lithium, Coltan oder Kobalt. Diese «strategischen Stoffe» spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels in Industrieländern. Sie werden unter anderem für die Produktion leistungsfähiger Batterien beispielsweise für E-Autos gebraucht. Deshalb steigen die Abbauraten dieser Stoffe seit Jahren an. Der anvisierte Umbau hin zu einer CO₂-neutralen Lebensweise ist zwar ein hehres Ziel, doch die Materie ist komplex.
Für ein mittelgrosses Auto werden ca. 10 kg Kobalt benötigt. 70 Prozent des weltweit verarbeiteten Kobalts stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Der Abbau von Kobalt ist enorm energieintensiv und hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt. Denn die giftigen Nebenprodukte des Kobaltabbaus verwüsten Landschaften, verschmutzen Wasser und verseuchen die Landwirtschaft. Hinzu kommen weitere Auswirkungen wie der Bau von Strassen, die Ansiedlung von Menschen in bisher nicht bewohnten Gebieten, Jagd und die mögliche Übertragung von Krankheiten. Der Schaden an der Natur ist unumkehrbar: Ein Drittel aller Menschenaffen sind durch die Energiewende direkt in ihren Lebensräumen bedroht.
Kobalt aus dem Kongo kommt oft aus einer Mischung aus industriellem und handwerklichem Abbau. Da im handwerklichen Bergbau deutlich mehr Geld zu verdienen ist als in der Landwirtschaft, hebt die Lokalbevölkerung, oft vor der Haustüre im eigenen Viertel, Stollen aus. Dieser Abbau findet jedoch oft ohne Helme, Atemmasken, Schutzstollen, in Schächten bis zu 50 m Tiefe und unter Einbezug von Kinderarbeit statt. Immer wieder kommt es zu tragischen Unfällen.
Seit der Erfindung der Lithium-Ionen-Akkus ist Kobalt vom Pluspol der Batterien kaum wegzudenken und findet sich in nahezu allen Batteriegeräten – vom Smartphone über Laptops, Akku-Bohrer oder Bluetooth-Boxen. Der Kobaltbedarf rückte erst mit dem Aufkommen der Elektromobilität in den öffentlichen Fokus, da nun für die viel grösseren Batterien deutlich grössere Mengen nötig sind (© Matthias Speicher).
Holz- und Erdölgewinnung als weitere Bedrohung
Leider ist es nicht nur die Förderung von Bergbaustoffen zugunsten der Energiewende, welche die Ökosysteme unter Druck setzen. Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo hat auch begonnen, Erdölabbau-Konzessionen zu verteilen. Heikel dabei ist die Lage der geplanten Erdölabbaugebiete: Einige befinden sich mitten in den grössten tropischen Torfmooren dieser Welt, einem Hotspot der CO₂-Speicherung. Eine Kohlenstoffentweichung dort würde zu einer ökologischen Katastrophe führen. Dabei sind viele Wälder im Rahmen der Zentralafrikanischen Waldinitiative eigentlich geschützt, finanziert durch den globalen Norden. Die kongolesische Regierung argumentiert jedoch, dass diese Zahlungen nicht kommen und sie darum gezwungen sei, Erdöl abzubauen, um Perspektiven zu schaffen.
Auch die Holzwirtschaft trägt zum Waldverlust im Kongobecken bei. Über 90 Prozent des geschlagenen Holzes wird illegal geschlagen – teils für die Verwendung von Brennholz, teils für den Export. Obwohl holzschlagende Firmen Sozialzahlungen an die Lokalbevölkerung zahlen müssten, kann die Regierung dies kaum durchsetzen.
Wir sprechen in unser Handy, tausende sterben im Kongo
Im Kongobecken zeigt sich wie unter einem Brennglas das Dilemma, welches sich aus dem Rohstoffhunger des globalen Nordens und den Bedürfnissen des globalen Südens im Hinblick auf die Gefährdung von Ökosystemen ergibt. Die Zeit drängt, die Ökosysteme im Kongo stehen unter einem historischen Druck. Es besteht die Gefahr, dass sich mit der Abholzung und Degradierung der Regenwälder die Klimakrise weiterzuspitzt.
Glücklicherweise sind wir nicht machtlos und nach der Lektüre dieses Blogbeitrags hoffentlich auch nicht mehr unwissend.
Einige, kleine Möglichkeiten, die hoffentlich grosse Auswirkungen haben, sollen hier kurz dargelegt werden.
In Bezug auf uns als Individuum können wir uns beispielsweise folgende Fragen stellen:
- Brauche ich ein eigenes Auto?
- Brauche ich ein neues Handy? Könnte ich mein Handy stattdessen reparieren lassen?
- Entsorge ich meinen Elektromüll fachgerecht?
- Bin ich bereit, generell auf mehr Suffizienz in meinem Leben zu achten?
In Bezug auf uns als Gesellschaft sollen uns folgende Fragen beschäftigen:
- Setzt meine Regierung das Pariser Klimaabkommen konsequent um?
- Zahlt meine Regierung Gelder an den globalen Süden, um nachhaltigere Perspektiven als zum Beispiel den Erdölabbau zu ermöglichen? Kann ich irgendwo überprüfen, ob es solche Fonds gibt? Wenn ja, was finde ich heraus?
- Fördert meine Regierung die Entwicklungszusammenarbeit und ermöglicht sie dadurch nachhaltigere Lebensweisen?
- Unterliegen Konzerne mit Sitz in meinem Land, welche zum Beispiel im Kongo Kobalt abbauen, bestimmten Regulierungen? Müssen sie gewisse Standards bezüglich Umwelt- und Menschenrechte erfüllen?
- Kann ich beim Kauf von Elektrogeräten die Herkunft bestimmter Stoffe wie Kobalt mittels Zertifikate überprüfen?
Willst Du mehr, authentisches Wissen zur Thematik erwerben? Dann schau Dir die Webseite von L’Observatoire de la Gouvernance Forestière an, einer NGO aus der Demokratischen Republik Kongo, welche sich mit der Forstwirtschaft im Land auseinandersetzt und auf vielfältige Weise Einblicke in ihre Arbeit gibt – zu empfehlen sind insbesondere die Videos aus dem Arbeitsalltag.
Autor: Martin Sigg
Literaturverzeichnis
Franke, Martin. 2022. Die dunkle Seite der Verkehrswende. Frankfurter Allgemeine. Kobalt aus Kongo: Der dunkle Preis der Verkehrswende (faz.net), abgerufen am 30.08.2024
Hoffmann, Carolina. 2021. Kongo: Illegale Abholzung – Afrikas Regenwald ist in Gefahr. Das Erste. https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/Kongo-ilegale-Abholzung-100.html abgerufen am 30.08.2024
Raupp, Judith. 2023. Demokratische Republik Kongo: Öl oder Bäume. Deutsche Welle. https://www.dw.com/de/demokratische-republik-kongo-%C3%B6l-oder-b%C3%A4ume/a-64983253, abgerufen am 30.08.2024
Soguel, Dominique. 2023. «Der Kleinbergbau im Kongo muss gefördert werden». Swissinfo. https://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/kongo-kobalt_-der-kleinbergbau-im-kongo-muss-gefoerdert-werden-/48287850, abgerufen am 30.08.2024
SRF News Videos. 2023. Kongo will Öl im Regenwald fördern. SRF News Videos - Kongo will Öl im Regenwald fördern - Play SRF, abgerufen am 30.08.2024
Staude, Linda. 2019. Der hohe Preis für Elektroautos und Smartphones. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/kobaltabbau-im-kongo-der-hohe-preis-fuer-elektroautos-und-100.html, abgerufen am 30.08.2024
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. 2023. Kritische Rohstoffe aus Afrika für die Energiewende in Deutschland. Kritische Rohstoffe aus Afrika für die Energiewende in Deutschland (bundestag.de), abgerufen am 30.08.2024
Abbau von Energiewende-Rohstoffen bedroht Menschenaffen in Afrika. 2024. MDR Wissen. Abbau von Energiewende-Rohstoffen bedroht Menschenaffen in Afrika | MDR.DE, abgerufen am 30.08.2024
Coltan. Begehrtes Erz aus dem Regenwald im Handy. Oro Verde. https://www.regenwald-schuetzen.org/regenwaldschutz-im-alltag/verbrauchertipps-im-alltag/bodenschaetze/coltan, abgerufen am 30.08.2024